DSD-Blog

Kollektives Erinnern im digitalen Zeitalter

Beitrag von

25.03.2020

Das kollektive Gedächtnis genauso wie das individuelle wird in Zukunft vor allem von den digitalen Medien abhängen. Was das konkret für das Erinnern bedeutet, ist heute noch gar nicht vollständig abzusehen. Zwei Aspekte sind aber vor allem bedeutend: Die Art und Weise des kollektiven Erinnerns und die digitalen Orte, an denen dieses geschieht beziehungsweise die Archivierung.

Es stellt sich die Frage nach der Langlebigkeit und Auswahl von Erinnerungen und Erinnernswertem neu.

Das Internet als Ort des kollektiven Erinnerns

Erinnerung findet heute im Internet kollektiv und in Echtzeit statt. Das ist besonders bei weitreichenden Ereignissen wie beispielsweise dem Tod einer Berühmtheit zu beobachten – Menschen teilen auf sozialen Netzwerken ihre Gefühle und Erlebnisse in Form von Konzertvideos und ähnlichem. Es gibt daher erstmals einen Ort, an dem das kollektive Gedächtnis anschaulich wird. Grenzen zwischen privaten und öffentlichen digitalen Räumen verschwimmen dabei.

Das kollektive Erinnern wird mit den digitalen Medien daher partizipativ, allerdings nur bedingt demokratisch, denn Menschen, die diese Medien nicht nutzen, bleiben außen vor. Darüber hinaus stellt sich vermehrt die Frage nach Authentizität und propagandistischen Intentionen der geteilten Erinnerungen. Außerdem läuft digitales Erinnern Gefahr, alles zu speichern und zu dokumentieren und nicht mehr zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden.

Was bleibt im kulturellen digitalen Gedächtnis?

Mit der Frage nach der Wichtigkeit beziehungsweise Hierarchisierung von Erinnerung stellt sich die Frage, wer auf der Ebene eines kollektiven kulturellen Gedächtnisses in Zeiten der Digitalisierung die Entscheidungshoheit hat. Alles Verfügbare zu digitalisieren macht wenig Sinn, da so das Internet beziehungsweise Datenbanken zu einer Müllhalde werden, auf der es immer schwieriger wird, gezielt etwas zu suchen. Vieles könnte nur durch Zufall wiederentdeckt werden und wäre ansonsten dem Vergessen anheimgegeben.

Eine weitere Herausforderung sind die Speichermedien selbst. Diese haben eine immer kürzere Halbwertszeit. Während es heute noch möglich ist, Schriftstücke aus antiken Zeiten zu rekonstruieren und entziffern, können an mancher Stelle bereits jetzt nicht mehr elektronische Aufzeichnungen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren gelesen werden, da die entsprechenden Geräte ausgestorben sind. Jeder, der sich fragt, was auf seinen alten Floppy-Disks im Keller drauf ist, wird dies bestätigen können. (tl)